Zusammenfassung

öffentliche Veranstaltung in Berlin

A) Vortrag von Paul Oestreicher: „Geld - Krieg - Gewissen“ vom 05.09.02, und

B) Diskussion („Nachgefragt“) darüber vom 06.09.02.

Bericht: Gertie Brammer, Hannelore Morgenstern

A)

Paul Oestreicher stellte eingangs fest, dass im Neuen Testament häufig von der Ethik des Geldes, aber selten von der Ethik des Krieges die Rede ist. Dies führe zu den unterschiedlichen Positionen christlicher Kirchen bei der Beurteilung von Krieg. Oestreicher leite seinen christlichen Pazifismus daher unmittelbar von Jesus Christus ab.

Christliche Pazifisten im ersten Weltkrieg seien die Wegbereiter der Zivildienstrege-lung gewesen. Die Forderung nach einem Recht auf Kriegsdienstverweigerung be-stehe seit dem ersten Weltkrieg und wurde nach dem zweiten Weltkrieg umgesetzt: Artikel 4 (Gewissensfreiheit) im deutschen Grundgesetz. Diese Rechtsgrundlage finde sich bei weitem nicht in allen westlichen Demokratien.

Die Situation habe sich seither verändert. Die Waffensysteme und damit Kriegfüh-rung sind großer Technologisierung unterworfen. Dadurch ist die Zahl der an der Kriegführung beteiligten Personen gesunken.

Auch die fortschreitende Konzentration der Heere als Berufsarmeen reduziert die unmittelbare Beteiligung von wehrdienstpflichtigen SoldatInnen. Daher müsse zwin-gend die Rechtslage angepaßt werden: einerseits dürfe niemand gezwungen wer-den, Waffen zu tragen und benutzen; andererseits aber auch nicht, dafür zu zahlen.

Das Recht auf Kriegssteuerverweigerung als Grundrecht sei für Parlamentarier und Rechtsanwälte eine komplizierte Sache. Durch Bewußtseinsarbeit könne dieser komplexe Sachverhalt aber doch verständlich dargestellt werden. Kriegssteuer-Ver-weigerung erachte er als Zeichen; es werde durch eine Minderheit gesetzt. Diese solle nicht isoliert bleiben, sondern Bündnisse eingehen, auch mit Gruppen, die nicht pazifistisch sind. Eine große Koalition solle gebildet, eine möglichst breite Bewegung aufgebaut werden.

Ziel dieser Bewegung müsse es sein, ideologische Einheit herzustellen.

Die Zielgruppe dafür sehe er bei allen an der Menschenwürde Interessierten. Wir sollten die Menschen aufsuchen, die bewußt für gerechte Kriege sind und auf den Dissens eingehen. Ebenfalls sollten wir mit solchen sprechen, die anarchistisch jede Steuer ablehnen. Wir sollten sie einladen; Podiumsdiskussionen organisieren und PR machen.

Dem Staat muß das Recht auf Verteidigung mit Waffen zugestanden werden. Daraus leite sich aber auch die Forderung nach einem alternativen Recht ab. Dieses bürger-liche Selbstbestimmungsrecht bestehe nur in einem bestimmten Maße. Die Anerken-nung der gewissensbedingten Verweigerung sei also begrenzt auf den Fall der staat-lichen Gewaltausübung mit militärischen Mitteln.

Nach seiner persönlichen Auffassung seien militärische Einsätze im Sinne einer Poli-zeifunktion akzeptabel (UN-Blauhelme). Er setze Vertrauen in das konfliktvermei-dende Heer zwischen kämpfenden Parteien. Wenn allerdings diese „Polizei“-Kräfte ihre Waffen tatsächlich gebrauchen, seien sie gescheitert.

Aber auch Militärfachleute können manchmal „friedenfördernd“ wirken. Die NATO-Akademie in Kanada, die Fachleute für das „peace keeping“ ausbildet, hält Oestrei-cher für einen großen Fortschritt in der Menschheitsgeschichte. Es sei immer wieder vorgekommen, dass Soldaten für politische Zwecke mißbraucht wurden. Um dies zu vermeiden, brauchten Soldaten eine besonders menschliche Ausbildung. Oestrei-cher berichtet von Begegnungen mit und Äußerungen von Soldaten, welche diese als der Friedensbewegung näher stehend ausweise, als es bei manchen Politikern der Fall sei.

B)

Mehrheiten haben meistens Unrecht, damit müsse man sich abfinden.

Wir HABEN Feinde, es GIBT Unrecht, und das MUSS bekämpft werden. Die Frage ist nur: Mit welchen Mitteln? Wir sollten uns da keine Ideale zurechtschustern, denn „das Ideal ist oft der Feind des Guten“.

Paul Oestreicher verfolgt die Strategie: neben dem Bestehenden - dem Militärischen - Alternativen einzurichten.

Auf die Frage, ob wir nicht erst dann richtig über Gerechtigkeit reden können, wenn die direkte Demokratie (Volksabstimmung) eingeführt worden ist, antwortete Oestreich, dass er ausdrücklich gegen eine plebiszitäre Gesellschaft sei. Die politi-schen Parteien seien weniger militärisch als die Bevölkerung. Er selber könne zwar nie Soldat sein. Aber der, der die Last auf sich nehmen kann, verdiene Respekt. Hier zitierte er Ghandi: „Wer das Unrecht nicht bekämpft, hat seine Menschlichkeit verraten.“ Es gebe einen besseren Weg als den mit der Waffe, aber Oestreicher achte ihn. Selber versuche er, den besseren zu gehen.

Zu der Frage nach Koalitionen mit den Kirchen meinte er, dass die Christen halt nicht wach seien. Wir sollten das Dogma des „gerechten Krieges“ ernst nehmen und ver-suchen, dieses nicht zu einem „heiligen Krieg“ (Jihad, Kreuzzug) mutieren zu lassen. Dabei dürften wir nicht sagen: Wir wissen alles besser, sondern: Wir kennen einen besseren Weg.

Das Schlimmste ist für Oestreicher die Gleichgültigkeit.